In der Fachbibliothek Historicum, also bei der Geschichtswissenschaft in München, habe ich oben hinten ein Buch gefunden: „Fugger-Zeitungen. Ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568-1605“, herausgegeben 1922 von Victor Klarwill.

Kontext

Was sind Fugger-Zeitungen? Fugger-Zeitungen sind im ausgehenden 16. Jahrhundert handschriftliche Berichte, Briefe, Nachrichten, die an das Haus Fugger geschrieben wurden. Die Fugger wollten als riesiges Handelsunternehmen über die aktuellen Entwicklungen informiert sein und sammelten europaweit Neuigkeiten. Die Zeitungen informierten sie nicht nur über wirtschaftliche Themen, sondern auch über Kriegsführung, Politik und eben alles, was den Berichterstattern als außergewöhnlich oder erwähnenswert erschien.

Das Buch, in dem ich die Geschichten gefunden habe, ist wiederum eine Ausgabe von 1922 und ist von daher selbst bereits ein historisches Dokument. Ich schaue mir also zuallererst das Vorwort des Herausgebers an, um zu sehen, wie nah oder fern der abgedruckte Text wohl von den Originalen sein mag.

Die Beiträge sind weder thematisch noch sonstwie sortiert, wie der Herausgeber schreibt: „Das einzige befolgte System war das der völligen Systemlosigkeit.“ Was die Bearbeitung des Texts angeht, so schreibt er:

Textkritik wurde keine versucht, das Wort blieb einzig und allein den Berichterstattern des Hauses Fugger. Ihre Sprache aber durfte dem Leser des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zugemutet werden, und es mußte eine Form des Ausdruckes gefunden werden, die sich der unseren nähert.

Wir lesen also Texte aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert, die sprachlich an die Konventionen des frühen 20. Jahrhunderts angeglichen wurden – und natürlich ist das ganze in Fraktur gesetzt.

Das ist der Kontext, in dem die Geschichte des Soldaten Daniel abgedruckt ist, und zwar unter der Überschrift „Ein Landsknecht gebiert ein Kind“, ein Bericht aus Piadena in Italien vom 26. Mai 1601.

Ein Landsknecht gebiert ein Kind

Der „seltsame Fall“, der sich zugetragen haben soll, betrifft einen Soldaten namens Daniel Burghammer. Eines abends habe er sich schlafen gelegt und

sich gegen sein Weib, das er seit sieben Jahren ehelich gehabt und zur Kirche geführt hat, beklagt, daß ihm sein Bauch sehr weh sei, und er was darin empfinde. Er hat darnach gleich nach einer Stunde ein Kind, ein Mädlein, geboren.

Seine Frau rief daraufhin die Obrigkeit und der Soldat wurde befragt. Es stellt sich heraus, dass der Soldat Daniel „halb Mann und halb Weib“ war, als Junge getauft und aufgezogen wurde, Schmied gelernt hat und Soldat geworden ist. Einmal habe er bei einem Spanier geschlafen „sich mit ihm vermischt“ und davon sei er schwanger geworden. Er habe niemandem davon erzählt, auch seiner Frau nicht, „mit der er sieben Jahre ehelich gehaust, ihr aber mit seiner Mannheit niemals etwas habe anhaben können“.

Wer jetzt denkt er weiß wie es weitergeht: Gewalt, Anklage, Folter, Tod, weg mit dem der sich nicht an die Ordnung hält, weg mit dem Kind, vielleicht ist es vom Teufel – wer so denkt, der irrt gewaltig: man hält die ganze Gegebenheit für ein „großes Mirakel und wird es in die Chroniken setzen“. Das Kind wird getauft und Elisabeth genannt.

Diese Kindstaufe ist mit Soldaten und Ceremonien, wie Trommlern, Pfeifern und drei Trompetern, vorgenommen worden. Viele ansehnliche Herren vom Adel und Frauen, nebst 500 Soldaten, haben das Kind zur Taufe und wieder nach Hause begleitet.

Die organisatorische Seite der Sache ist also geklärt, ein kleiner Hinweis auf die Biologie darf aber nicht fehlen:

Das Kind kann von dem genannten Soldaten nur an der rechten Brust saugen und an der linken Seite, wo er seine Mannheit hat, gar nicht.

Sowohl der Landsknecht als auch sein Kind sind wohlauf, schreibt der Berichterstatter, „das Kind ist schön, und einige Städte haben bereits begehrt, das Kind aufzuziehen, was aber noch keiner versprochen wurde.“

Die Fragen, die geklärt werden müssen, sind also offensichtlich zunächst einmal organisatorischer Natur – es wurden die politische und die geistliche Obrigkeit befragt und Notare hinzugezogen. Insgesamt finde ich auffällig, dass wenig moralisch argumentiert wird, weder gegen Daniel und seine Intergeschlechtlichkeit, noch dagegen, dass er im Heerlager ganz offensichtlich mit einem anderen Mann geschlafen hat. Dass die Geburt als „Mirakel“ eingeordet wird, deutet darauf hin dass darin das Wirken Gottes gesehen wird, also keine Spur von Satan, Sünde und Verdammung.

Nur die Ehe des Landsknechts müsse geschieden werden, sagt die Geistlichkeit. Ordnung muss sein.