
Öffnungszeiten: gut (Link), Sonntags geschlossen |
Lage: OK, gut erreichbar vom Bahnhof Altstadt |
Arbeitsplätze: vorhanden, Steckdosen ebenso |
Buchbestand: sehr groß, besonders in Nischenthemen wie Esoterik, Religionswissenschaft, nichteuropäische Religion. |
Atmosphäre: konzentriert, hell, aufmerksam |
Die Fakultätsbibliothek Theologie in Heidelberg liegt im Gebäude der Theologischen Fakultät. Von außen wirkt sie unspektakulär, wenn man das Gebäude betritt geht man rechts ein paar Stufen hinauf und steht zwischen roten Schließfächern (2€) und einer hohen Betonwand mit eingebauter Kunst aus Holz, oben das Dach ist aus Glas. Man betritt die Bibliothek durch eine Glastür, dahinter sehr präsent der Infotresen. Man kann die Bib ohne Bibliotheksausweis nutzen. Es ist ruhig hier, sehr ruhig, obwohl eigentlich immer Menschen hier sind und lernen. Es ist eine Bibliothek zum Flüstern, maximal, man weiß nicht genau, auf wen man hier eigentlich Rücksicht nimmt: Auf die anderen Menschen oder auf die Bücher aus mindestens zwei Jahrhunderten, die selbstbewusst in den Regalen stehen. Der Teppichboden dämpft die Schritte.
Schon hier, im Erdgeschoss, finden sich viele helle Arbeitsplätze direkt am Fenster. Aber man geht lieber noch ein bisschen hinauf, weil man – also ich – nichts verpassen will und lieber oben im Krähennest sitzt als unten in der Höhle.
Eine breite Treppe führt ein halbes Stockwerk hinauf, dann übernimmt eine schmalere Treppe. Man passiert die Griechisch-Römische Antike, die Kirchengeschichte, die Dogmatik, die Praktische Theologie und die Philosophie, man passiert Predigten aus den 1940er Jahren und Lexika aus den 1870ern. Die Abteilung für Religionswissenschaft, wo die ganzen interessanten Bücher zu Esoterik, Anthroposophie, Sufismus und nicht-protestantischen Religionen stehen, ist im dritten Stock. Die Einzeltische stehen unter den Fenstern in der Dachschräge, man sieht – wenn man den Hals etwas streckt – sogar das Heidelberger Schloss, zumindest sieht man grüne Bäume und roten Sandstein. Man kann auf die Dachterasse hinaus und dort lesen, und eine letzte Reihe Schreibtische steht auf der Galerie ganz oben im Giebel.
Man lässt sich also an einem der Tische am Fenster nieder, baut seinen Laptop auf und geht auf Beutezug. Zu dem, was man eigentlich machen wollte, kommt man nicht. Weil man muss lesen wie die „Amazonen der Huk-Rebellion“ auf den Philippinen zu Ehe und Partnerschaft standen1, man muss Kurzgeschichten und Gedichte widerspenstiger Katholischer Feministinnen lesen2, man muss sich über Okkultismus bei den Nazis informieren3, ist dann irritiert-fasziniert vom „Weibmann“4 bei den Schamanen, geht ohne große Umstände zum Voodoo in New Orleans über5 und springt dann knapp 150 Jahre zurück zum „Religionswesen der rohesten Naturvölker“6 und denkt, während man das liest, dass die Wissenschaftler damals sich wirklich sehr sicher waren, die Wahrheit erkannt zu haben und fragt sich, ob das heute wirklich anders ist. Sicherheitshalber schaut man kurz in das Handbuch zu Religion and the Asian City7 und ist beruhigt, doch, allen Unkenrufen zum Trotz, es hat sich was verändert. Man greift noch drei oder vier Leinenbändchen, die irgendwas mit Magie zu tun haben, balanciert einen nicht unbedeutenden Stapel an Büchern zu seinem Tisch und überlegt, ob man sich kurz hinsetzen soll, aber man hat ja noch gar nicht alles gesehen, so viel Wissen, das auf einen wartet, so viele Bücher, Bücher, Bücher!
Wenn man im Himmel wäre, ganz anders würde es nicht sein.
Erwähnte Titel:
- Lanzona, V. A. (2010). Amazons of the Huk rebellion: gender, sex, and revolution in the Philippines. Manila: Ateneo de Manila Univ. Press. ↩︎
- DelRosso, J., Eicke, L. A., & Kothe, A. (Hrsg.). (2021). Unruly Catholic feminists: prose, poetry, and the future of the faith. Albany: State University of New York Press. ↩︎
- Black, M., & Kurlander, E. (Hrsg.). (2015). Revisiting the „Nazi occult“: histories, realities, legacies. Rochester, New York: Camden House.
↩︎ - Bleibtreu-Ehrenberg, G. (1984). Der Weibmann: kultischer Geschlechtswechsel im Schamanismus : eine Studie zur Transvestition und Transsexualität bei Naturvölkern. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. ↩︎
- O’Neill Schmitt, R., & O’Neill, R. H. (2019). New Orleans voodoo: a cultural history (1. Aufl.). Charleston, SC: The History Press. ↩︎
- Roskoff, G. G. (1880). Das Religionswesen der rohesten Naturvölker. Leipzig: Brockhaus. ↩︎
- Veer, P. van der (Hrsg.). (2015). Handbook of religion and the Asian city: aspiration and urbanization in the twenty-first century. Oakland, Calif.: Univ. of California Press. ↩︎
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